Biedermeier

Biedermeier
Bie|der|mei|er 〈n. 13; unz.〉 Kunststil der ersten Hälfte des 19. Jh., gekennzeichnet durch Zierlichkeit (bei Möbeln) u. gemütvolle, kleinbürgerl. Beschaulichkeit (in der Malerei) [<Biedermann + Bummelmaier, zwei 1848 von Victor v. Scheffel geschaffene Philistertypen in den „Fliegenden Blättern“ u. den darin veröffentlichten Gedichten „Biedermaiers Liederlust“ von L. Eichrodt]

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Bie|der|mei|er, das; -s (Fachspr. auch: -) [nach »(Gottlieb) Biedermaier«, Deckname der Verfasser von »biedermännischen« Gedichten in den »Fliegenden Blättern« (1855 ff.)]:
1. deutsche Kunst- u. Kulturepoche (etwa 1815 bis 1848):
ein Maler des -s.
2. Biedermeierstil:
diese Möbel sind typisch[es] B.

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Biedermeier
 
das, -(s), Bidermaier, nach der treuherzigen, aber spießbürgerlichen Figur des »Gottlieb Biedermeier« benannte Stilepoche; ursprünglich ein Pseudonym, unter dem L. Eichrodt und A. Kussmaul in den »Fliegenden Blättern« 1855-57 Gedichte veröffentlichten. Der zunächst negative Begriff wurde um 1900 aufgewertet und zuerst in kulturgeschichtlichem Sinn (Wohnkultur, v. a. Möbel; Mode) für die Epoche von 1815 bis 1848 in Deutschland gebraucht. Später wurde der Begriff Biedermeier auf die Malerei und schließlich auf die Literatur übertragen. Trotz F. Sengles umfangreicher Darstellung (»Biedermeierzeit«, 3 Bände, 1971-80) hat er sich jedoch gegenüber konkurrierenden Epochenbezeichnungen (Restaurationsperiode, Vormärz) nicht allgemein durchgesetzt.
 
In der Literatur wird die Bezeichnung Biedermeier etwa seit 1930 auf den Zeitabschnitt zwischen Romantik und Realismus bezogen, und zwar auf jene Werke, in denen aus politisch konservativer Sicht - im Gegensatz zu den liberal-revolutionären Bestrebungen des Jungen Deutschland - Achtung vor der überkommenen Ordnung, private Zurückgezogenheit, Melancholie, Verzicht und Resignation dominieren. Tagespolitische Bekenntnisse wurden abgelehnt, die kleineren Formen bevorzugt. In diesem Sinne typische Biedermeierdichtungen schrieben A. Stifter, Annette von Droste-Hülshoff, F. Grillparzer, F. Raimund, J. Gotthelf, E. Mörike, K. Immermann, E. von Bauernfeld, O. Ludwig, obwohl die meisten der Genannten gerade in ihren wesentlichen Leistungen die Grenzen des Biedermeier weit überschreiten (deutsche Literatur).
 
In der Malerei, die zeitlich zwischen der Romantik und dem Stimmungsrealismus der 50er- und 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts liegt, lässt sich eine deutliche Reaktion gegen den subjektivistischen Charakter der Zeit um 1800 beobachten. Sowohl der lyrische Pantheismus eines C. D. Friedrich als auch die anspruchsvolle Porträtkunst eines P. O. Runge traten wieder in den Hintergrund. Die Kunst wurde durch Selbstbescheidung, durch das Intime und Eng-Behagliche bestimmt. Vorherrschende Ausdrucksform war ein porträtgetreuer Realismus, mit anfangs zeichnerischem, seit etwa 1830 mehr malerischem Gepräge. Weitgehend epigonenhaft blieb man bei Historienbildern und religiösen Szenen. In der Genremalerei, v. a. der Düsseldorfer Schule, bekam das Enge und Kleinbürgerliche oft einen rührend-sentimentalen Ausdruck. Daneben entstanden humoristisch gefärbte Genreszenen, wie sie C. Spitzweg, A. Schrödter und J. P. Hasenclever malten. Zu den bedeutendsten Leistungen der Biedermeiermalerei zählen die Porträts und Landschaften von F. Krüger, E. Gärtner und T. Hosemann in Berlin, G. F. Kersting in Dresden, F. Wasmann in Hamburg, F. G. Waldmüller, F. Eybl, P. Fendi, F. von Amerling und J. Danhauser in Wien. Über die Grenzen des Biedermeier hinaus ging F. von Rayski, der auf malerisch freie Art v. a. Porträts schuf, ebenso F. X. Winterhalter als Porträtist der europäischen Gesellschaft. Als Illustrator trat L. Richter hervor.
 
Die Mode des Biedermeier entsprach in ihrem heiter-geordneten Erscheinungsbild dem politischen Klima der Restauration. Schute, weite Stufenröcke, eng geschnürte Taille, weite Schinkenärmel und das bis zu den Schultern reichende Dekolleté kennzeichneten die zunehmend rokokohaft verspielte Frauenkleidung; die Kleidung der Männer wurde bürgerlich korrekt: helle, von einem Fußsteg in Passform gebrachte Pantalons, Frack oder farbiger Leibrock, kurze Weste und Hemd, dessen hoher »Vatermörderkragen« seit den 1840er-Jahren über der lose gebundenen Krawatte umgeschlagen wurde, Zylinder. Kleidungstendenzen wie der weiche Filzhut der 1848er-Jahre (»Heckerhut«) blieben politisch verdächtig.
 
In seiner Übertragung auf die Musikgeschichte der Zeit zwischen 1815 und 1848 umfasst der Begriff Biedermeier nur Teilerscheinungen, die sich mit der gleichzeitigen musikalischen Romantik berühren, jedoch einen Zug ins Kleine, Anspruchslose und Epigonale, ins Rührselige, Schwärmerische und Gemütvolle, auch ins Triviale und Philiströse aufweisen. Zu nennen sind Komponisten wie F. Silcher, C. Loewe, L. Spohr, C. Kreutzer, A. Lortzing, F. von Flotow und O. Nicolai. Träger des musikalischen Biedermeier sind v. a. die häusliche Geselligkeit und das Vereinswesen, z. B. die Liedertafel. Kennzeichnend sind das Klavier- und das Liederalbum, das gesellige Chorlied, die v. a. an Mozart orientierte Sinfonik und die singspielhafte, »zu Herzen gehende« Oper.
 
Die bei aller Behaglichkeit bescheidene bürgerliche Lebenshaltung der Biedermeierzeit verwirklichte sich v. a. in der Wohnkultur, die in ihrer Schlichtheit und Ornamentlosigkeit von der bürgerlichen Kunst Englands zu Ende des 18. Jahrhunderts ausging und den Empirestil zu nüchterner Strenge und sachlicher Zweckmäßigkeit abwandelte. Die Möbel sind klar gebaut und doch zierlich. Besonderes Gewicht wurde auf gutes Material und handwerkliche Arbeit gelegt. Als Dekorationsmuster verwendete man die Blume, besonders als Streumuster.
 
 
H. Bünemann: Von Runge bis Spitzweg. Dt. u. österr. Malerei in der ersten Hälfte des 19. Jh. (1961);
 R. Feuchtmüller u. W. Mrazek: B. in Österreich (Wien 1963);
 
Zur Lit. der Restaurationsepoche 1815-1848. Forschungsreferate u. Aufsätze, hg. v. J. Hermand u. M. Windfuhr (1970);
 
Wiener B., hg. v. H. Koch (1977);
 E. Lichtenhahn: Musikal. B. u. Vormärz, in: Schweizer Beitrr. zur Musikwiss., Bd. 4 (1980);
 
Wiener B. Gemälde aus den Slgg. des regierenden Fürsten von Liechtenstein. Ausst.-Kat. v. R. Baumstark (Vaduz 1983);
 
Dt. Dichter, hg. v. G. E. Grimm u. a., Bd. 5: Romantik, B. u. Vormärz (1989, Nachdr. 1993);
 J. Bahns: B.-Möbel (21991);
 G. Himmelheber: B.-Möbel (21991).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Biedermeier: Die enge Behaglichkeit
 
Restaurationsepoche: Biedermeier, Junges Deutschland, Vormärz
 

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Bie|der|mei|er, das; -s (Fachspr. auch: -) [nach „(Gottlieb) Biedermaier“, Deckname der Verfasser von „biedermännischen“ Gedichten in den „Fliegenden Blättern“ (1855 ff.)]: 1. deutsche Kunst- u. Kulturepoche (etwa 1815 bis 1848): die Wohnkultur, ein Maler des -[s]. 2. Biedermeierstil: diese Möbel sind typisch[es] B.

Universal-Lexikon. 2012.

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